Aggressivität & Gewalt
- Pierre & Alexandra Frot
- 30. Juni 2019
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Juli 2019

Allgemein
Aggressivität ist eine angeborene Lebenskraft, die dazu dient, sich als Individuum zu entwickeln. Dazu gehört, für seine Freiheit zu kämpfen und als Angegriffener sich oder andere zu verteidigen. Allerdings existieren bei ihrer Anwendung klare Regeln, wie vor allem Rücksichtnahme und Fairness. Den Umgang mit natürlicher Aggressivität und Konfliktbewältigung sollten die Kinder in der Familie von den Eltern lernen. Das Vorbild der Eltern, also wie diese miteinander umgehen, ist von größter Bedeutung.
Es ist nicht überraschend, wenn Kinder aus Familien, in denen ein aggressiver Umgang
herrscht, selbst aggressiv werden. Betroffen sind vor allem Jungen, die im Unterschied zu Mädchen ihre spezifische männliche Kämpferkraft ausleben müssen.
Abtreibungen in Familienaufstellungen nach Hellinger
Die Ursachen für gewalttätiges und aggressives Verhalten sind sehr vielfältig:
Gewalttätige Männer
Familienaufstellungen zeigen oft, dass häusliche Gewalt aus der Wut von Männern entsteht, die von ihren Frauen nicht gesehen und geachtet werden. Diese Wut ist ein sekundäres Gefühl, das häufig über Generationen hinweg in der Familie geherrscht hat. Die Männer der Familie haben einen Anspruch, der ihnen zusteht, den sie aber nicht geltend machen.
Nicht selten suchen sich Frauen unbewusst gewalttätige Männer als Zeichen der Selbstaufopferungsbereitschaft: Ein schlimmes ungesühntes Verbrechen im Familiensystem kann zur Folge haben, dass Nachkommende dafür büßen, z. B. indem sie aggressive Partner wählen. Auf diese Weise finden immer wieder Opfer- und Täterpersönlichkeiten zueinander, ohne dass sie an der ursächlichen Situation beteiligt waren.
Aggressive Kinder
Kinder lernen die Achtung vor Frauen bei ihren Vätern. Gleichzeitig achten Kinder die Eltern dann, wenn die Eltern sich gegenseitig achten. In von Aggressivität geprägten Familiensystemen achten sich Männer und Frauen nicht.
Bei aggressiven Jungen sind vielfach die Väter nicht anwesend. Oft handelt sich um Familien, in denen die alleinstehende Mutter überfordert ist. Systemisch wirkt zusätzlich ein tieferer Hintergrund: Wenn der Sohn spürt, dass der Vater missachtet und ausgeklammert wird, kann er dies in seinem treuen Herzen nicht ertragen und bildet unbewusst eine Koalition mit dem Vater. Im Grunde vermisst das Kind Vertrauen, Geborgenheit und Liebe. Dem Kind geht es nämlich nur dann gut, wenn es beide Eltern achten und lieben kann. Erst dann kann es sich selbst achten und lieben.Das Kind verliert ansonsten die Werteorientierung und gerät in ein innerliches Chaos. Es wird zum Chaoten. Das ist eine häufige Ursache für blindwütigen Vandalismus (siehe dazu »Eltern-Kind-Bindung«).
Ein gewalttätiges Kind kann auch mit einem – oft gewalttätigen – Familienmitglied verstrickt sein, wie z. B. mit dem Großonkel, der als Naziverbrecher im Krieg Menschen umgebracht hat und nicht zu seiner Schuld steht. Oder mit dem Großvater, der seinen Sohn (den Vater) regelmäßig geschlagen hat und der keinen Platz in der Familie mehr hat. Das Enkelkind wird genau so gewalttätig werden wie der Großvater, um auf diesen Ausschluss aufmerksam zu machen.
Oft wurde in Familienaufstellungen beobachtet, dass ein Kind aggressiv wird, wenn es sieht, dass einer der Elternteile sterben will (siehe dazu »Nachfolge). Die Aggression richtet sich im Grunde gegen den Tod und dient als Mittel, den Elternteil im Leben zu halten.
Bei jungen Kindern kann die Aggression mit einer Abtreibung zu tun haben: Die Liebe der Mutter geht nur zum lebenden Kind. Doch das Kind will nicht, dass es eine Liebe bekommt, die einem anderen gebührt, und wird deshalb aggressiv.
1. Konsequenzen im System (nach Hellinger)
Die Aggressivität ist die Konsequenz im System. Bestimmte Krankheiten wie Epilepsie oder Panikattacken, die eine Person handlungsunfähig machen, können ein Schutz vor Aggression sein. Bert Hellinger ist der Ansicht, dass die Epilepsie manchmal eine Abwehr von mörderischer Wut darstellt: Eine erwachsene Person, die Epilepsie entwickelt, will jemanden umbringen und schützt sich durch die Krankheit davor, diese Tat zu begehen. Bei Kindern ist es nicht ihre eigene Aggression, sondern sie haben sie stellvertretend für jemand anderen. Eine Aufstellung kann zeigen, von wem die mörderische Aggression ausgeht.
2. Lösungsansätze
Für eine Lösung der Aggressionen bei gewalttätigen Männern müssen die Gründe für die Wut im Familiensystem ans Licht gebracht werden; es muss gezeigt werden, wie deren Dynamik weiter im Gegenwartssystem wirkt. Es ist allerdings sehr schwierig, weil häufig beide Partner mit dieser Dynamik ihre Loyalität zu ihren jeweiligen Ursprungssystemen
zeigen und sich oft – trotz aller Behauptungen – gegen eine Lösung stellen.
Bei Missachtung des Vaters sollte das Kind von der Mutter die Erlaubnis bekommen, den Vater lieben zu dürfen (siehe dazu auch »Trennung der Eltern«). Wenn z. B. die Mutter wütend auf den Vater ist, traut sich das Kind (systemisch gesehen) erst dann, seinen Vater anzunehmen und zu ihm zu gehen, wenn die Mutter beginnt, den Vater zu achten. Die Frau soll dem Mann als Vater desKindes einen Platz in ihrem Herzen einräumen.
Bei einer Verstrickung muss diese dadurch gelöst werden, dass das ausgeklammerte Familienmitglied seinen Platz zurückbekommt und sein Schicksal geehrt wird. Dabei ist gleichgültig, was es getan hat. Bei Abtreibungen muss auch das abgetriebene Kind seinen Platz in der Familie zurückbekommen.
Aggressivität in der Mehrgenerationalen Psychotraumatologie
Aus Sicht Franz Rupperts kann ein Kind mit einem extrem traumatisierten Anteil ein maßlos wütendes und aggressives Überlebens-Ich entwickeln, das vor nichts mehr zurückschreckt, um nicht nochmals verletzt zu werden.
Lösungsansatz
Siehe »Trauma, Traumastörungen und Symbiosetrauma«.
Comments