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Angststörungen & Panikattacken

Aktualisiert: 12. Juli 2019



Allgemein


Angst zu empfinden, stellt vor als gefährlich eingestuften Situationen oder z. B. vor Tieren eine natürliche und oft lebensrettende Reaktion dar. Evolutionsgeschichtlich betrachtet hat Angst als ein die Sinne schärfender Schutzmechanismus eine wichtige Funktion, der in einer Gefahrensituation ein angemessenes Verhalten wie etwa Flucht einleitet. Angst wird dann zum Problem, wenn sie chronisch und irrational ist. Erst dann spricht man von einer Angststörung. Bei einer Angststörung steht das Gefühl der Angst so stark im Vordergrund, dass das alltägliche Leben in vielen Bereichen stark eingeschränkt ist. Etwa fünf von

100 Menschen leiden an behandlungsbedürftigen Angststörungen. Experten bezeichnen

Angst dann als krankhaft, wenn

  • sie übermäßig stark ist,

  • Dauer und Häufigkeit der Angstzustände mit der Zeit zunehmen,

  • die Betroffenen nicht in der Lage sind, die Angst aus eigener Kraft zu überwinden,

  • die aktuellen Lebensumstände das Ausmaß der Angst nicht rechtfertigen können.

Aus klinischer Sicht unterscheidet man zwischen:

  • »Gerichteten« Ängsten: Die Angst tritt nur

  • bei einer Konfrontation mit ganz bestimmten Objekten oder Situationen, z. B. großer Höhe, Spinnen, Blut, Schlangen, offenen Plätzen usw. auf,

  • »ungerichteten« Ängsten, wie Panikstörungen (plötzliche, episodische Angst, die im Durchschnitt 30 Minuten dauert),

  • generalisierten Angststörungen (dauerhafte Angst); besteht die Angststörung schon über einen längeren Zeitraum, so kommt es üblicherweise zu einem massiven Rückzug aus dem Alltag, und Orte und Situationen, die Angst machen, werden gemieden; soziale Isolation ist häufig die Folge.


 

Angststörungen in Familienaufstellungen nach Hellinger

Es wird meistens zwischen vier möglichen Arten von Ursachen für Ängste in einem Familiensystem unterschieden:

  • Die erste Art von Angst kommt am häufigsten vor. Sie steht stellvertretend für ein Familienmitglied und hat ihre Ursache in einem Trauma oder in dem schweren Schicksal dieses Familienmitglieds. Sie ist somit nicht an ein persönliches Erleben gekoppelt. Phobien und Panikattacken gehören meist zu dieser Form von Angst. Sie kann dann erfolgreich behandelt werden, wenn man erkennt, welches Ereignis im Familiensystem in der Vergangenheit Angst auslösend gewesen ist. Die Ängste sind real, allerdings um eine oder mehrere Generationen verschoben. Panikattacken tauchen oft in Familien auf, in denen Ängste nach und nach ein extremes Ausmaß angenommen haben. In seltenen Fällen kann es auch vorkommen, dass die Angst im Familiensystem des Partners begründet ist. Aufstellungen können aufdecken, welchem Familienmitglied Schlimmes widerfahren ist oder welches anderen Schlimmes angetan hat.

  • Die zweite Art von Angst hat ihre Ursache in einer persönlichen Schuld. So entstehen z. B. bei vielen Frauen Ängste, nachdem sie eine Abtreibung vornehmen ließen.

  • Die dritte Art von Angst ist streng genommen keine systemische Störung, sondern entsteht durch ein Ereignis im Leben des Betroffenen, durch eine unterbrochene Hinbewegung zu den Eltern, meist zur Mutter. Eine unterbrochene Hinbewegung geschieht entweder durch eine reale, frühe Trennung von der Mutter, etwa durch einen Klinikaufenthalt, oder eine lange Abwesenheit des Vaters. Auch ohne äußere Trennung kann es bisweilen vorkommen, dass ein Kind einen Elternteil »nicht haben« konnte, beispielsweise weil ein Elternteil es nicht ertrug, dass das Kind zum anderen Elternteil wollte. Daraus kann oft eine Angst vor Nähe oder vor Kontakt entstehen, die sich manchmal in regelrechte Lebensangst wandelt. Als Erwachsene weichen diese Kinder immer dort zurück, wo sie eigentlich Nähe, Sicherheit und Liebe finden würden. Zu den Ursachen dieser Kategorie von Angst gehört auch das Erlebnis eines schweren Traumas, z. B. bei Kindesmissbrauch oder wenn jemand Zeuge eines schrecklichen Geschehens wurde. Auf diese Weise entstehen z. B. auch sogenannte posttraumatische Belastungsstörungen bei Soldaten, die in Kriegsgebieten stationiert waren.

  • Panikattacken dienen auch – wie viele Krankheiten, die primär handlungsunfähig machen, z. B. Epilepsie – als Schutz gegen mörderische Impulse, die von einem anderen Systemmitglied übernommen wurden.


Aufstellungstechnik und Lösungsansatz

In den meisten Fällen werden der Ratsuchende und die Angst aufgestellt, um den Ursprung der Angst im Familiensystem sichtbar zu machen. Der Lösungsansatz hängt von der Ursache der Angst ab.

  • Bei Verstrickung des Ratsuchenden mit einem Systemmitglied sollte diese Verstrickung gelöst werden (siehe dazu »Verstrickung«).

  • Für die Lösung der anderen Fälle siehe »Schuld«, »Abtreibung« und »Unterbrochene Hinbewegung«.

 

Abtreibungen in der Mehrgenerationalen Psychotraumatologie


Für Franz Ruppert sind Ängste vor allem ein Symptom, das auf eine spezifische Ursache verweist: Ängste haben immer einen Sinn und eine Bedeutung, die Ursache für die Entstehung von Angststörungen und Panikattacken ist jedoch bei jedem Menschen

individuell in seiner Lebensbiografie und in seinem Bindungssystem zu suchen. Mögliche Ursachen sind:

  • Angst entsteht durch das unmittelbare Erleben von Ereignissen, in denen sich der Betroffene völlig schutz- und hilflos fühlt. Nicht zu bewältigende Todesängste sind die Ursache für Existenztraumata. Solche Traumata wirken am stärksten in der frühen Kindheit, in der die kognitive Bewältigung von Erfahrungen nur unzureichend gelingt. Am stärksten wirkt dabei der selbst miterlebte Tod der Eltern und von Geschwistern. Todesängste können für ein Kind schon während der Schwangerschaft (z. B. bei einem Abtreibungsversuch) oder während und nach der Geburt hervorgerufen werden (z. B. durch eine Zangengeburt oder wenn das Kind nach der Geburt für mehrere Stunden keinen körperlichen Kontakt zu seiner Mutter hat).

  • Angst wird auch durch das erzeugt, was zwar nicht unmittelbar selbst miterlebt wurde, sondern auch durch das, was im Bindungssystem passierte, z. B. die Abtreibung eines möglichen Geschwisters oder der Selbstmord eines Angehörigen.

  • Panische Ängste können in Zusammenhang mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen entstehen, wenn die Erinnerung daran im Bewusstsein gelöscht ist.

  • Panikattacken werden von Menschen erlebt, wenn das Trauma-Ich zum dominanten Ich-Bewusstsein wird. Das normalerweise abgespaltene Trauma-Ich kann durch Bilder, Stimmen, Gerüche oder eine spezifische Situation, die der ursprünglichen Traumaerfahrung ähnlich ist, in Alarmzustand versetzt werden. Die panischen Ängste erscheinen deshalb irreal und unverständlich, weil sie nicht im Zusammenhang mit der ursprünglichen Traumasituation gesehen werden können.

  • Panische Angst kann auch ein übernommenes Gefühl sein. In diesem Fall entsteht das Angstgefühl nicht unmittelbar aus einer eigenen Erfahrung heraus, sondern die Angst einflößende Erfahrung wurde bereits in der Elterngeneration oder vielleicht sogar in der Großelterngeneration gemacht.

Die aktuellen Ängste symbolisieren laut Franz Ruppert das ursprüngliche Trauma. Die Angst

vor freien Plätzen (»Agoraphobie«) kann darauf hinweisen, dass jemand im Bindungssystem

zu Tode kam, weil er schutzlos war (z. B. ein Soldat im offenen Feld). Die Angst vor engen

Räumen (»Klaustrophobie«) kann dadurch begründet sein, dass ein Kind in einer Gewaltsituation in einem Zimmer eingesperrt war oder dass seine Mutter aus einem Raum nicht fliehen konnte (z. B. bei einem Bombenangriff im Luftschutzkeller).

Diffuse Ängste entstehen insbesondere dann, wenn das traumatisierende Ereignis aufgrund

von Schuld- und Schamgefühlen tabuisiert werden muss, z. B. weil ein Kind in der Familie ermordet wurde. Der Schmerz bleibt gleichsam in der Psyche stecken und kann sich nicht in Trauer auflösen. An seine Stelle tritt die Angst, die vor der Berührung mit dem Schmerz schützt. Wenn Personen mit diffusen Angstgefühlen aufstellen, so zeigt sich häufig, dass sowohl das väterliche als auch das mütterliche System eine »Angsthypothek« in sich trägt.


Lösungsansatz

Bei der Arbeit mit Ratsuchenden, die unter starken Ängsten leiden, wird in einer Aufstellung

meistens schnell deutlich, welche Funktion die Angst für den Ratsuchenden hat, und ob sie ihn an ein eigenes traumatisches Erlebnis erinnert oder ob sie die Folge einer symbiotischen Verstrickung ist. Zum allgemeinen Lösungsansatz für ein Existenztrauma siehe »Trauma, Traumastörungen und Symbiosetrauma«.

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