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Anmaßung

Aktualisiert: 12. Juli 2019



Anmaßung in Familienaufstellungen nach Hellinger

Die Ordnung des Gebens und Nehmens in der Familie wird auf den Kopf gestellt, wenn ein

Späterer dem Früheren etwas in einer Weise geben will, als sei er diesem gleichgestellt oder

sogar überlegen, anstatt von dem Früheren zunehmen und ihn dafür zu ehren. Dies gilt systemisch als Anmaßung. Anmaßung kann nur ein Kleiner gegenüber einem Großen, einem Vorgeordneten üben. Es gibt mehrere mögliche Ursachen für eine Anmaßung, z. B.:

  • Das Kind ist verstrickt: Es sagt z. B. zu seiner kranken Mutter: »Ich übernehme es für dich; du kannst es nicht, ich mache es, ich bin besser« (siehe dazu »Stellvertretung«). Die Bereitschaft, das schwere Schicksal der Mutter mitzutragen oder den frühen Tod eines Bruders zu kompensieren, kann weder jenes Schicksal noch dessen Tod korrigieren. Diese Bereitschaft verleiht dem Kind allerdings ein Gefühl von Größe: »Ich, das Kind (das Kleine) kann tragen, was die Mutter (die Große) nicht tragen kann.«

  • Die Eltern bringen das Kind in eine anmaßende Position: Es wird z. B. in einen Konflikt hineingezogen, der im Grunde zwischen Vater und Mutter besteht (siehe dazu »Triangulierung«), oder es übernimmt aus Liebe eine Elternrolle (siehe dazu »Parentifizierung«). Die vom Kind übernommene Rolle ist nicht nur äußerst belastend, sie verhindert vielmehr, dass es einfach nur Kind sein darf, und nimmt ihm gleichzeitig die Achtung vor seinen Eltern.

  • Wenn ein Kind sich anmaßt, wissen zu wollen, was zwischen den Eltern ist, und dies beurteilt, stellt es sich über die Eltern, gleichgültig in welchem Alter es ist. Dies gilt auch dann, wenn die Eltern dem Kind von sich selbst aus etwas aus der intimen Beziehung erzählen (siehe dazu »Eltern-Kind-Bindung«).

  • Verzeihen ist ebenso eine Form der Anmaßung. Verzeihung zu gewähren, steht dem Opfer nicht zu. Wenn es verzeiht, entsteht der Eindruck, als könne es die Schuld auf sich nehmen. Dies passiert beispielsweise oft dann, wenn ein missbrauchtes Kind aus Loyalität zu seinen Eltern die Schuld auf sich nimmt.


Konsequenzen im System (nach Hellinger)

Im Grunde entstammt eine solche Anmaßung aus einer Bewegung der Liebe und zwar aus

dem guten Gewissen heraus. Sie geschieht wenn ein Kind gegen die Rangfolge des Gebens und Nehmens verstößt, bestraft es sich oft schwer – nicht selten mit Scheitern und Unter-

gang. Im tiefen Inneren empfindet es diese falsche Position als Anmaßung, auch wenn es sie

aus Liebe zu Vater oder Mutter eingenommen hat.


Lösungsansatz

Es ist nicht immer einfach, in einer Aufstellung eine Anmaßung zu lösen: Das Kind fühlt sich

mit seiner Last wichtig; ohne sie schrumpft seine eigene Bedeutung. Daher ist es für den

Ratsuchenden nicht einfach, die Last loszulassen, und die Aufstellungsleiter erkennen oft

Blockaden.


Bei einer Verstrickung (z. B. bei der Dyna­mik »Lieber ich als du«): In der systemischen

Verstrickung entsteht das Leiden aus Liebe heraus – und es kann durch Liebe wieder ge-

heilt werden, wenn die Wirklichkeit erkannt und die Verstrickung gelöst wird.

  • Bei einer Triangulierung oder Parentifizierung: Die Rangordnung im Familiensystem muss wiederhergestellt werden.

  • Wenn Elterngeheimnisse im Spiel sind: Das Kind darf sich nicht in Privatgelegenheiten der Eltern einmischen. Diese gehen es nichts an. Wenn ein Elternteil ihm etwas anvertraut hat, muss das Kind dies vergessen und sich völlig zurückziehen. Bert Hellinger nennt dies »spirituelles Vergessen«.

  • Bei Schuld und um nicht zu verzeihen: Das Kind muss z. B. sagen: »Es war schlimm, ich verzeihe dir nie. Ich mache jetzt etwas Gutes aus meinem Leben.«

 

Anmaßungen bei Organisationsaufstellungen


Anmaßendes Verhalten kommt auch häufig in einem Unternehmen vor: Ein Mitarbeiter über-

nimmt stets Aufgaben seines Chefs; ein Abteilungsleiter mischt sich ständig in andere Abtei-

lungen ein. Beide maßen sich Kompetenzen an, die sie nicht besitzen. Diese Dynamik zeigt sich meistens bei Menschen, die in ihrer Familie ihnen unangemessene Rollen innehaben. Wenn ein Mitarbeiter in seiner Herkunftsfamilie für seine Eltern etwas mitgetragen hat, meistens durch Triangulierung oder Parentifizierung, entsteht dadurch im Erwachsenenalter eine Verachtung für Autoritäten und anmaßendes Verhalten Vorgesetzten gegenüber (siehe dazu »Reinszenierung/Neuinszenierung des Familiensystems«).

 

Quellen: 19

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